Ein Foto der Schneckenmühle

Eine Geschichte aus der deutschen Jugendhilfe

verfasst am: 10.04.2017

(und wie das Jugendamt mit einem kleinen Verein umgeht, der Ihm vor kurzem aus der Patsche geholfen hat)

Könnt ihr helfen?

An einem Nachmittag im September 2015 klingelt auf einer Ostseeinsel ein Handy. Der Besitzer des Telefons ist im Urlaub, aber wenn der Chef des Jugendamtes dran ist, geht man schon mal ran, um zu hören, was anliegt. Der ältere und stets freundliche Herr leitet seit bald 25 Jahren das Jugendamt in dem Landkreis, indem ein Ferienlager steht und wo der kleine Verein als freier Träger der Jugendhilfe anerkannt ist. Die Lage sei ernst, es kämen sehr viele Jugendliche vor allem aus Syrien und Afghanistan, man wisse gar nicht wohin mit den jungen Menschen und ob sich der Verein nicht vorstellen könne, den Winter über ab November einige aufzunehmen. Nun stand das beheizte Steinhaus in dem Ferienlager den Winter über mehrheitlich leer. Man könnte was tun, so war die Antwort.

Doch wenige Tage später, nach der Rückkehr aus dem Urlaub, kamen Zweifel auf. Konnte man das schaffen? Anruf beim Jugendamt und der ältere und stets freundliche Herr sagte, er wüsste, dass wir keine Erfahrungen hätten, aber stets hilfsbereit seien. Er schloss mit den Worten, wir würden helfen, die Jugendlichen aus Turnhallen heraus zu bekommen, wir sollten sie gut über den Winter und ihnen möglichst etwas Deutsch beibringen. Ein halbes Jahr sollte genügen, um der dringlichsten Probleme Herr zu werden.

Allem Anfang wohnt ein Zauber inne

Nun machte man sich eilig an die Suche nach geeigneten Leuten und stellte ein knappes Dutzend ein und zu Beginn des elften Monats im Jahre 2015 wurden aus fünf acht, dann schnell elf und schließlich vierzehn Jugendliche, die sich rasch im Ferienlager eingewöhnten – aus dem Ferienlager war vorübergehend eine afghanische Exklave inmitten des als nicht sonderlich fremdenfreundlich bekannten Landkreises, der an der Grenze zur Tschechischen Republik liegt. Mit viel Enthusiasmus begann eine tolle Zeit und viele Fragen mit dem Jugendamt konnten schnell, einvernehmlich und im Sinne der untergebrachten Jugendlichen gelöst werden. Sogar eine Deutschlehrerin kam dazu, weil die Jungen noch nicht zur Schule gehen durften.

Bald darauf feierte man gemeinsam mit Familie und Freunden Weihnachten, gleich danach gab es ein gemischtes Ferienlager mit einheimischen Kindern und vielerlei Erstkontakten, aber schließlich anständigem Abschiedsschmerz. So schnell kann’s gehen. Kaum waren die einheimischen Kinder abgereist, da telefonierte der Telefonbesitzer mit dem älteren und stets freundlichen Herren. Schnell kam dieser darauf zu sprechen, dass man weiterhin gar nicht genau wüsste, wie es mit den Jugendlichen weitergehen solle, der Notstand sei mitnichten vorbei und da man doch im Ferienlager ein eingespieltes Team habe und es den Jungen gut gehe, könnte man da nicht länger als bis Ende April arbeiten. Nun ist ein Ferienlager ein Ferienlager und ein Verein keine Firma und so sagte der Telefonbesitzer, er werde sich schnell darum kümmern, ein geeignetes Objekt aufzutreiben, irgendetwas müsse es ja geben, aber ab Mai bräuchte man das Ferienlager wieder, um seinem eigentlichen Satzungszweck nachzugehen. Schulklassen und Ferienlagerkinder standen vor der Tür.

Schnell wurde deutlich, dass nichts Brauchbares zu mieten sei und man erkundigte sich, was denn in der Umgebung zu kaufen sei. Nicht viel, genau genommen kam so kurzfristig nur ein Haus direkt am Marktplatz im Nachbarort in Frage: drei Etagen, unten ehemals ein großer Friseurladen, oben zwei Wohnungen und im Dachgeschoss nochmals zwei. Der Preis war in Ordnung, so traf sich der Telefonbesitzer mit dem älteren und stets freundlichen Herren und seinem Kollegen vom Jugendamt, der die ganzen Sondermaßnahmen für unbegleitete minderjährige Ausländer koordinierte und zeigte ihnen das Haus. Bei der Begehung einigte man sich, dass das Haus für 14 Jugendliche gut und notfalls auch für 17 geeignet sei, falls es mal wieder eng werden sollte. Der Telefonbesitzer sagte, er könne wohl den Verein überzeugen, das Haus im Sinne der Sache zu kaufen, aber er könne nicht für sechs oder zwölf Monate einfach so ein Haus kaufen, her- und einrichten. So einigte man sich mit den offiziellen Vertretern des Amtes, das sich um das Wohl der Kinder und Jugendlichen kümmern soll, auf eine Zeit von zwei Jahren, und alle waren sich einig, dass es bei diesem Provisorium bleiben sollte. Daher bezahlte der kleine Verein alles aus eigener Tasche, beantragte keine Fördermittel (das hätte viel zu lange gedauert) und sollte ab dem ersten Tag an trotzdem immer voll belegt sein. In vier Wochen wurden Möbel aufgebaut, neue Elektroverteilungen gezogen, das Haus so gut es eben ging aufgefrischt und schick gemacht, und so sollte es zu einem neuen Heim für Jugendliche werden, die praktisch nichts mehr hatten. Nächster Vorteil: sie kamen von dem neuen Haus aus besser zur Schule, in die alle gingen und fleißig nicht nur Deutsch lernten, wie es sich der ältere und stets freundliche ursprünglich gewünscht hatte.

Extra ein Haus kaufen?

Doch kamen am seltenen 29. eines Monats, der dieses Datum eher selten hat, Zweifel auf. Ok, das Haus war in Ordnung, man könnte dort sofort einziehen, aber darf man das in Deutschland auch? Ein Anruf bei einem Amt belehrte einen Gutmeinenden eines Besseren. Hierfür sei ein Bauantrag zu stellen – auch wenn gar nichts zu bauen sei und man nichts verändern würde? – aber sicher – und wie lange würde das dauern? – sicherlich vier Monate, eher sechs und nein, ein verkürztes Verfahren gebe es nicht. Nun rief der Gutmeinende den älteren und stets freundlichen Herren an und teilte ihm dieses Hindernis für das gemeinsame Vorhaben mit. Unter diesen Voraussetzungen sei der Kauf ausgeschlossen und die weitere Arbeit nicht möglich. Daraufhin sagte der ältere der beiden Männer, dass das Jugendamt auf die vorherige Genehmigung der Umnutzung verzichte. Und so wurden zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres alle Mittel in die Waagschale geworfen (nicht nur eine Menge Geld, sondern noch mehr Kraft und Nerven), denn die Junge waren in dem Tal mit dem kleinen Bach heimisch geworden, niemand war mehr ausgebüchst und größere Probleme gab es keine.

Bald fanden die Ersten Praktikumsstellen und der Erste einen Ausbildungsplatz, die ersten Jungen gingen auf reguläre Schulen und der Mitarbeiter des älteren und stets freundlichen Herren, der diesem in Sachen Freundlichkeit in nichts nachstand, meinte, so langsam müsste man aber wirklich mal in das Hilfeplanverfahren einsteigen, wenn die Jugendlichen so lange bei dem kleinen Verein blieben. So wurde es gemacht und obwohl der kleine Verein nicht musste, half er nach Kräften mit und auch die Betreuerinnen und Betreuer lernten viel dabei.

Im Sommer trafen sich der Telefonbesitzer und der jüngere Herr vom Jugendamt, und beratschlagten, ob es nicht an der Zeit sei, das Haus für den dauerhaften Betrieb anzumelden und der Herr vom Jugendamt sagte, wenn man das machte, dann dürften nur noch weniger Jugendliche in dem Haus wohnen und man bräuchte die Plätze, daher wäre es gut, wenn man bei den vereinbarten zwei Jahren Nutzung bliebe und so einigte man sich, auf einen Antrag für eine Betriebserlaubnis im Interesse des Landkreises zu verzichten, denn die Krise mit den vielen Jugendlichen war noch nicht kleiner geworden. Es kamen weniger über die Grenze, aber immer mehr aus anderen Teilen Deutschlands und so stieg die Zahl weiter, jedenfalls wurde sie nicht kleiner, und irgendwie kamen die normalen Einrichtungen für Jugendliche nicht an den Start. Es gebe da wohl viele Hindernisse, so wurde mitgeteilt.

Seit dem Beginn dieser Geschichte war nun ein Jahr vergangen und auch dieser September war wieder herrlich, bis das Telefon klingelte und der junge Herr vom Jugendamt mitteilte, dass der ältere und stets freundliche Herr nicht mehr der Leiter des Jugendamtes sei. Auch sei es wichtig, dem Jugendamt im Bundesland die Nutzung der Einrichtung mitzuteilen, und man werde dann gemeinsam beratschlagen. Dies geschah schon am nächsten Tag und man wartete auf einen Termin und eine Antwort. Auch sprach man mit einem Architekten, denn so einen Bauantrag darf nicht jeder stellen. Erst war der Eine im Urlaub, dann der Andere und nach vier Wochen wollte man sich treffen und loslegen. Doch es kam anders.

Besuch des Landesjugendamtes

Mitte November 2016 trafen sich Menschen vom kleinen Verein mit dem freundlichen Herren vom Jugendamt im Landkreis und einer ebenso freundlichen Dame vom Jugendamt im Bundesland im Haus, in dem die Jugendlichen doch recht zufrieden eine neue Bleibe gefunden hatten. Dabei sagte die freundliche Dame, dass es an der Zeit wäre, alle Genehmigungen einzuholen und dass es durchaus sinnvoll wäre, eine Betriebserlaubnis für das Haus zu beantragen. Um bis dahin sicher zu gehen, seien Papiere von behördlicher Seite notwendig, die bescheinigten, dass das Haus aus Sicht der Gesundheitsaufsicht, des Brandschutzes und der Bauordnung unbedenklich sei. In der deutschen Sprache gibt es dafür das nur in dieser Sprache existierende, wohlklingende Wort von der ‚Unbedenklichkeitsbescheinigung‘. Eine gute Woche später erhielt der kleine Verein einen Brief von der freundlichen Dame, indem das auch noch mal stand, dass der Betrieb grundsätzlich denkbar sei und das man kurzfristig mit den entsprechenden Fachleuten Ortstermine machen solle. Gleichzeitig hatte der Verein gemäß Absprache eine Betriebserlaubnis für das Haus beantragt.

Schon drei Tage nach dem Treffen mit der freundlichen Dame und dem freundlichen Herren traf sich der Telefonbesitzer mit dem Architekten im Haus, man müsse nun mal und wolle ja auch und der Architekt sagte, in Ordnung, dann würde er die Pläne des Hauses zeichnen und den Bauantrag bis Weihnachten stellen. So ging das also seinen Gang, sollte man meinen.

Dann telefonierte man mit ganz verschiedenen Menschen von der Feuerwehr, um einen davon ins Haus einzuladen und zu erfahren, was in Sachen Brandschutz noch zu tun sei, um auch hier zu tun was gefordert sei. Natürlich waren Feuerlöscher, Rauchmelder und eine sichere Elektroverteilung längst vorhanden. Aber für einen anständigen zweiten Fluchtweg braucht man schon mal einen Fachmann, muss ja alles seine Ordnung haben und da so eine Rettungstreppe nicht ganz billig ist, wäre es auch schon, eine konkrete Handlungsanweisung zu haben, bevor man irgendetwas baut. Aber irgendwie fühlte sich niemand bei der Feuerwehr verantwortlich und wollte sich das Ganze ansehen, zum einen sei es ja ein Wohnhaus, das längst abgenommen sei und zum anderen wollte niemand etwas Entsprechendes unterschreiben. Wer aber dann? – Diese Frage wollte oder konnte einem niemand beantworten.

Zwischendurch rief der jüngere Herr vom Jugendamt an und teilte mit, dass er ab sofort nicht mehr zuständig und auf einen anderen Job umversetzt wurde. Ende November müsse er schon seinen Abschied nehmen und einen Nachfolger gebe es nicht. Im Übrigen sei die neue Leitung des Jugendamtes zwar noch nicht dauerhaft im Amt bestätigt, aber durchaus eine gute Ansprechpartnerin im Sinne der Sache, wenn schon der ältere und stets freundliche Herr habe gehen müssen. Ihm selber habe man nicht wirklich sagen können, was er falsch gemacht habe. Man wünschte sich gegenseitig alles Gute.

Das Einfachste war die Gesundheitsaufsicht und die geforderte Bescheinigung konnte ohne größere Probleme ausgestellt werden. Zwischen den Weihnachtsfeiertagen war offenbar im Jugendamt des Landkreises hektische Betriebsamkeit ausgebrochen und plötzlich interessierten sich verschiedene Menschen sehr stark für die Unbedenklichkeitsbescheinigungen.

Der Besitzer des Telefons suchte den Architekten, doch weder per Mail noch per Telefon erreichte er ihn und Weihnachten war schon vorbei, selbst das neue Jahr hatte schon begonnen. Dann kamen im Wochentakt Anfragen vom Landkreis, mal vom Jugendamt, mal vom Bauamt und der Telefonbesitzer wurde nervös. Und endlich erreichte er den Architekten, der berichtete, er habe erhebliche gesundheitliche Probleme gehabt und könne zwar den Antrag schreiben und einreichen, aber jemand anders müsste die Zeichnungen erstellen, denn derer gab es keine. Auch das dauerte, aber bald war eine Lösung gefunden und man machte sich ans Werk.

Kündigung

Am 23.2. traf bei dem kleinen Verein ein offizieller Brief ein, der bis zum 24.2. Auskunft über den Fortgang des Bauantrags verlangte, woraufhin der Telefonbesitzer die Sachlage per E-Mail erklärte. Doch schon am 1.3. lag ein gelber Umschlag im Briefkasten des kleinen Vereins, darin ein Schreiben vom 24.2., dass der Vertrag zu Ende März gekündigt sei. Anlass sei unmittelbar, dass ab April nur noch Einrichtungen mit Betriebserlaubnis arbeiten dürften, so wollte es das Sozialministerium. Man führte aus, es habe ein Sonderinvestitionsprogramm gegeben und genügend Zeit, alles notwendige zu veranlassen. Dies traf zwar für den kleinen Verein in keinem Fall zu und erheblich abweichende Absprachen mit dem schon immer und auf fachlicher Ebene bis zuletzt hervorragend kooperierenden Jugendamt gab es auch, aber nun war es soweit und die Not groß.

Am 10.3. erhielt der kleine Verein offiziell Kenntnis von einem Schreiben, nachdem das Landesjugendamt vom Kreis wissen wollte, warum es nicht genügende Fortschritte bei der Schaffung der benötigten Unterbringungen gebe und wie künftig genügend Platz vorgehalten werde. Über dieses Schreiben wurde am 13.3. im Jugendamt mit der Amtsleiterin direkt gesprochen, die es auch noch einmal zeigte und zusagte, die Einrichtung des kleinen Vereins in die Bedarfsplanung aufzunehmen. Außerdem war man überein gekommen, da man von einer verfehlten Kündigungsfrist ausging, dass ohnehin erst zum 30.4. das Haus in Liebstadt geräumt werden müsste, und entweder habe man dann alle benötigten Papiere für eine Duldung zusammen oder man ziehe vorübergehend in das Ferienlager nebenan, in dem seit 60 Jahren Kinder übernachten und sechs Monate 14 Afghanen ein Heim gefunden hatten. Dafür sollte vorsorglich auch eine Betriebserlaubnis beantragt werden, denn da Kinder dort schon immer übernachtet hätten, Fluchtwege abgenommen und Hygieneauflagen mit großem Aufwand erst vor Kurzem erfüllt worden waren, könne man im Zweifel von einer Duldung des Landesjugendamtes ausgehen, da ja auch an der fachlichen Arbeit des kleinen Vereins nichts auszusetzen sei und die Jungen sich allem Vernehmen nach wohl fühlten. So wollte man das auch in die Bedarfsplanung hineinschreiben, erläuterte die freundliche Jugendamtsleiterin, die kurzfristig einen Termin ermöglicht hatte und augenscheinlich sehr daran interessiert war, die Zusammenarbeit fortzusetzen, schon weil es schlicht an Plätzen mangelte. Am 21.3. sollte die Stellungnahme ans Landesjugendamt vorliegen. Sehr zufrieden mit diesem Ausgang wurde noch am selben Tag der vereinbarte Betriebserlaubnisantrag auch für das Ferienlager im Sinne der Jugendlichen abgefasst, unterschrieben und am nächsten Tage zur Post gebracht.

Der Landkreis, das hatte die freundliche Jugendamtsleiterin, die nach Monaten immer noch nicht dauerhaft als solche bestätigt war und kommissarisch fungierte, noch angefügt, habe umfassend mit Landesmitteln eigene Häuser saniert, aber es mangele an Personal und folglich stünden diese Einrichtungen nicht zur Verfügung. Und auch andere Träger hätten Probleme mit den Betriebserlaubnissen. Solcherart informiert dachte man beim kleinen Verein nichts Böses, vertraute auch ein wenig auf Dankbarkeit für die geleistete Hilfe und setzte die Arbeit fort, auf dass zu Ende April nun aber wirklich alles seine Richtigkeit habe. Auch die Zusammenarbeit mit den Sozialarbeitern beim Jugendamt war ungetrübt und immer mit Blick nach vorne, allerdings zogen im März drei Jungen aus – das geschieht von Zeit zu Zeit und ist für diese ja auch schön – und anders als früher kamen keine neuen. Der Mann mit dem Telefon erkundigte sich am 21.3., was denn nun in der Bedarfskonzeption des Landkreises geschrieben stand und ob er das denn auch lesen dürfte. Mitgeteilt wurde ihm von der stellvertretenden Amtsleitung (die eigentliche, wenn auch kommissarische weilte im wohlverdienten Urlaub), dass allein das Ferienlager, sofern die drei Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorlägen, über den 31.3. hinaus in Frage käme. Nanu? Und warum die Geheimniskrämerei? Was war mit anderen Einrichtungen? Und wo war Liebstadt geblieben? Und warum war vom 30.4. nicht mehr die Rede? Es gab Grund zur Besorgnis. Irgendwas stimmte nicht. Doch es gab viel zu tun und man könnte ja nochmal beim Landesjugendamt nachfragen.

Am kommenden Tag traf der Telefonbesitzer in Pirna die zuständige Sozialarbeiterin und den Amtsvormund bei einem gemeinsamen Termin, der weit über die nächsten zwei Wochen hinaus gehende Zielstellungen hatte und erkundigte sich nebenbei, ob denn irgendetwas in der Sache bekannt sei. Nein, man wüsste nichts, habe lediglich die Order erhalten, bis zum Vorliegen der geforderten Bescheinigungen keine neuen Jugendlichen mehr in das Haus des kleinen Vereins zu verlegen. Es gebe zwar reichlich Unterzubringende, aber man könne sich da außer wegen der allgemein unklaren Lage auch keinen Reim drauf machen.

Am Donnerstag, den 23.3. klärte der kleine Verein mit einem Sachverständigen für Brandschutz kurzfristig, ob eine vorübergehende Lösung mithilfe eines Gerüstes als zweitem Fluchtweg denn unter welchen Bedingungen hilfreich sei. Grundsätzlich war dem so, weitere Fragen konnten bei einem Termin am 28.3. live vor Ort im Büro des Prüfingenieurs im Beisein des Architekten geklärt werden, so dass am 31.3. eine Abnahme stattfinden könne. Sodann hätte man Zeit und Sicherheit, bis über ein umfangreiches und gegen zu prüfendes Gutachten in Sachen Brandschutz Klarheit und Planungssicherheit bestehen würde, aber weil so etwas in Deutschland auch wegen der Verbindung mit dem ebenfalls zeitaufwendig geprüften Bauantrag dauert, half das erst einmal. Der kleine Verein wünschte sich auch aus Haftungsfragen schon länger Sicherheit in Sachen Brandschutz, aber wusste nicht wie, und so wurde diese Idee geprüft, gewogen und für gut befunden. Auch der freundlichen Dame vom Landesjugendamt tat man so einen Gefallen, denn sie hatte schon anklingen lassen, dass in Sachen zweiter Fluchtweg am ehesten Handlungsbedarf bestehen würde, da sonst mit einer Nutzungsuntersagung zu rechnen sei.

Dann prüfte der Telefonbesitzer nochmals diese merkwürdige Mail vom Kreisjugendamt und da war es: auch für das Kinderferienlager, in das hilfsweise ein vorübergehender Umzug stattfinden sollte, wurden die drei Unbedenklichkeitsbescheinigungen gefordert und das hieß im Klartext, dass mitnichten der Status als lange bekanntes Kinderübernachtungsquartier ausreichend sei, um dort zunächst vorübergehend die Jugendlichen wohnen zu lassen. Die Hygienebescheinigung wäre auch kurzfristig kein Problem, aber man müsste für die Unbedenklichkeitsbescheinigung ja wiederum einen kompletten Bauantrag mit den entsprechenden Bearbeitungszeiten stellen und auch das abgestimmte Brandschutzgutachten – vorhandene Fluchtwege hin oder her – würde Zeit brauchen. Oha! Da war aber am 13.3. im Kreisjugendamt noch etwas ganz besprochen worden.

Alles gut?

All das war nicht beruhigend und so wandte sich der Telefonbesitzer an das Landesjugendamt, um herauszufinden, was denn nun los sei. Zunächst erhielt er die schriftliche Auskunft, dass das Landesjugendamt einen Termin sofort nach Rückkehr der Amtsleiterin des Kreisjugendamtes am 10.4. im Ferienlager reserviert habe. Auch könnten bei solch einem Gespräch weitere Fragen geklärt werden, damit zu Ende April auch wirklich alles seine Ordnung habe. Man vereinbarte einen telefonischen Termin am Montag den 27.3. um dringliche Fragen zu klären, vor allem die Frage der Nutzungsuntersagung und ob nun damit zu rechnen sei. In diesem Telefonat gab die Dame recht schnell zu verstehen, dass sich der kleine Verein nicht so sicher sein sollte, dass der Landkreis wirklich so wohlmeinend sei (man könnte hier auch von ‚dankbar‘ oder ‚interessiert am Wohlergehen der untergebrachten Jugendlichen‘ einsetzen), aber das Landesjugendamt als Kontrollbehörde habe unter Bedingung, dass die Abnahme des zweiten Fluchtweges bis Freitag, 31.3. erfolgt sei, zunächst keine Beanstandungen am weiteren Betrieb. Damit wurde die stillschweigende Duldung zunächst angekündigtermaßen fortgesetzt. Die sonstigen Unterlagen ließen Fortschritte erkennen, dieses oder jenes sei noch einzureichen und auch die Anerkennung der Fachkräfte sei wünschenswert, natürlich verbunden mit entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen.

Am 28.3. traf man sich früh mit dem Brandschützer, vereinbarte die termingerechte Abnahme der bereits in Umsetzung begriffenen Maßnahmen und setzte das Landesjugendamt hierüber in Kenntnis.

Die Umverteilung

Am 30.3. morgens gegen 10:30 Uhr platzte die Bombe. Im Posteingang fand sich eine lapidare Mitteilung des Kreisjugendamtes mit drei Zeilen, in denen mit Bezug auf die Kündigung des Vertrages, der ja eigentlich frühestens zum 30.4. nochmals gekündigt werden sollte, falls bis dahin nichts Substantielles passiert sei, die Umverteilung der untergebrachten Jugendlichen in andere Objekte bis zum 31.3. – also heute und morgen – angekündigt wurde. Die Mail datierte auf dem Vortag um 16:36 Uhr und weder in der betroffenen Wohngruppe noch auf dem Telefon des Besitzers war angerufen worden. Das Landesjugendamt wurde durch den Telefonbesitzer überhaupt erst von diesem Umstand informiert und war vorher nicht eingebunden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Allerdings stellt sich bald heraus, dass die stellvertretende Jugendamtsleiterin spätestens am 30.3. telefonisch vom Landesjugendamt von der zunächst nicht zu erwartenden Nutzungsuntersagung in Kenntnis gesetzt worden sei und man stand ja auch vorher im laufenden Kontakt zur Sache. Auch erzählt man sich hinter vorgehaltener Hand, dass eben diese stellvertretende Jugendamtsleiterin bis zuletzt für die Einrichtung des kleinen Vereins – wenigstens einen Aufschub wegen des laufenden Verfahrens und der erkennbaren Fortschritte – gekämpft habe, aber vom Landratsamt gezwungen worden sei, als Vertreterin des Jugendamtes die Umverteilung anzuordnen. Auch die zuständige Sozialarbeiterin und der Amtsvormund haben nach eigener Auskunft erst am 29.3. von der bevorstehenden Maßnahme erfahren. Es stellt sich die Frage ‚Warum?‘, wenn die Leitung des Jugendamtes schon Ende Februar ein Kündigungsschreiben aufgesetzt hatte. Aber diese war ja noch im Urlaub.

Sofort erfolgten Telefonate mit dem Sozialministerium, ob denn bekannt sei, dass nun doch nicht stillschweigend geduldet werde und die Antwort war, dass das gegenwärtig nicht der Fall sei, man noch offene Fragen habe und das von einer Schließung nichts bekannt sei.

Sodann wurde ein Widerspruch eingereicht, der

  • feststellte, dass die angekündigte nicht näher spezifizierte Umverteilungsmaßnahme nicht angemessen und auch nicht im Sinne des Kindeswohls sei,
  • nochmals die Frage der termingerechten Kündigung aufwarf,
  • die Zusage der Amtsleiterin (Betrieb mindestens bis zum 30.4.) in Erinnerung brachte
  • die allgemeine Verletzung aller Verhältnismäßigkeit feststellte,
  • jedwede objektive Not und damit außerordentlichen Anlass bestritt
  • und das komplette Ignorieren aller pädagogischen Grundsätze, Verfahrenswege und Normen betonte.
  • Darüber hinaus wurde ausdrücklich die Abstimmung mit dem Landesjugendamt und dem Sozialministerium festgestellt.
  • Im besonderen Maße wurde die Verletzung der Mitwirkungsrechte sowohl aller zehn Jugendlichen als auch der laut Gesetz (§ 36 SGB VIII) zu beteiligenden verschiedenen Fachkräfte (u.a. Sozialarbeiter und Vormund) kritisiert.
  • Der Widerspruch zielt folglich auf einen Aufschub zum Zwecke der Klärung der akuten Fragen ab, und schließt mit einer Bitte um schnellstmögliche Rückkehr zur kooperativen Klärung der Sachverhalte im Sinne des Kindeswohls der untergebrachten Jugendlichen.

Am Abend erhielt der Telefonbesitzer eine Mail im Auftrag der Beigeordneten des Landrates, in der lapidar erklärt wird, die Kündigung sei termingerecht, die Umverteilung habe Bestand und das Jugendamt habe Möglichkeiten der Unterbringung mit den anderen Trägern geprüft. Im eigentlichen Antwortschreiben zum Widerspruch wird allein auf die termingerechte Kündigung und das Fehlen eines Bauantrages abgestellt. Alle anderen vorgenannten Aspekte finden keine Erwähnung. Dass das Landesjugendamt aber signalisiert habe, dass Betriebserlaubnis oder offizielle Duldung zwingend notwendig seien, entspricht zwar dem Stand vom 13.2., geht aber nicht auf die laufenden Abstimmungen mit dem Landesjugendamt ein. Zu den Jugendlichen findet sich kein einziges Wort.

Verletzung der Mitwirkungsrechte und Gefährdung des Kindeswohls

Wenn die maßgeblichen Akteure im Landkreis von dem Problem wussten, warum haben sie die Zeit seit 24.2. nicht genutzt, um den Sozialarbeitern und Jugendlichen Zeit zur Vorbereitung zu geben? Warum wurde hinsichtlich der Hilfeplangespräche weiter gemacht wie bisher und mehrere Monate im Voraus Termine gemacht?

Das völlige Vernachlässigen inhaltlicher Aspekte oder der Interessen der Jugendlichen oder wenigstens der Information der zuständigen Jugendamtsmitarbeiter lässt nur einen Schluss zu: die Einrichtung sollte ohne Ansehen der inhaltlichen Arbeit geschlossen werden. Eine Vorbereitung der Jugendlichen störte dabei. Dass anders als am 13.3. im Jugendamt benannt, plötzlich alternative Unterbringungen möglich sind, lässt auf politischen Willen schließen und ist inhaltlich nicht erklärbar. Ob dabei das Kindeswohl ausreichend beachtet worden ist und ob nicht gezielt andere Einrichtungen überbelegt worden sind, wird noch geklärt. Das Wohl der Kinder spielte keine Rolle, ihr Wille schon gar nicht.

Entsprechend wehrten sich vier der zehn Jugendlichen noch am Abend vor der Umverteilung durch einen Widerspruch, der normalerweise aufschiebende Wirkung hat. Die Übermittlung erfolgte noch am Abend des Donnerstags per Mail und Fax mit Frist zu Freitag, 12:00 Uhr. Die Kenntnisnahme ist durch Lesebestätigungen und Faxprotokoll belegt, eine Reaktion erfolgte nicht. Die nunmehr einzulegenden Rechtsmittel wollte der Vormund nicht unterschreiben. Auch hier wurde Angst um den Arbeitsplatz als Grund genannt.

Hier sollten möglichst geräuschlos Fakten geschaffen werden. Dass Jugendamtsmitarbeiter diese Maßnahme missbilligten, wurde unter der Hand signalisiert, aber auch, dass diese Angst um ihren Arbeitsplatz hätten, denn es waren ja bereit im Spätsommer und im November Köpfe gerollt, der des Jugendamtsleiter und der des Sonderkoordinators.

Am Freitag wurde nachmittags die Umverteilung mit Ordnungsamt und schusssicheren Westen vollzogen. Ein Vertreter des Landratsamtes ließ sich dahin gehend ein, dass man Jugendlichen ja nicht in einer Ruine oder einer Höhle unterbringen könnte – während er vor dem und im Haus stand. Er kannte keinen Jugendlichen beim Namen. Das Ordnungsamt konnte wenigstens bewegt werden, nicht zentral auf dem Marktplatz Stellung zu beziehen. Die Jugendlichen trugen es mit Fassung und ohne Widerstand. Dass Traumata durch dieses Auftreten und die allgemeine Art und Weise des Ablaufs wieder aufgefrischt worden sind, kann absolut nicht ausgeschlossen werden. Mancher Junge war augenscheinlich schwer mitgenommen von der Entscheidung und der Umsetzung. Die Vernachlässigung des Kindeswohls bietet hier entschieden Anlass zur Sorge.

Nunmehr müssen einige Jugendliche sich den strengen Regeln einer Suchthilfeeinrichtung beugen, andere müssen zwei Stunden zur Schule fahren und können keine Sport mehr machen, einer wurde alleine untergebracht und weitere sind in einer Einrichtung, bei der ernsthaft gefragt werden muss, ob diese allen Standards, die an uns angelegt werden, entspricht.

Auf Nachfrage erhielt der Telefonbesitzer keine persönlichen Termine im Landratsamt für die Sondierung einer Lösung im Sinne der Jugendlichen und der reservierte Termin mit dem Landesjugendamt und der Kreisjugendamtsleiterin wurde unterdessen gestrichen.

Die Jungen wenden sich regelmäßig an uns, da sie offenbar mittlerweile kaum noch Vertrauen in Vormund, Jugendamt oder sonstige Institutionen haben.

Ihre nachweislichen Integrationserfolge werden leichtfertig verspielt.

Die Jungen wurden nicht beteiligt, obwohl es möglich gewesen wäre und gesetzlich vorgeschrieben ist.

Ein Aufschub der Räumung, obwohl vom Jugendamt selber bis zuletzt dringend angeraten, wurde durch das Landratsamt abgelehnt.

Das Landratsamt und das Jugendamt, soweit es dazu veranlasst worden ist, interessiert augenscheinlich allein die Statistik.

Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) darf seine Arbeit nicht richtig machen.

Es geht nicht ums Kindeswohl. Obwohl es möglich gewesen wäre und immer noch möglich ist.

Alles, was für einen Erhalt der Einrichtung gesprochen hätte, wurde ignoriert, der einzige Grund die Einrichtung zu schließen wurde immer wieder herangezogen – obwohl er für die Kündigung gar nicht notwendig war.

Mindestens eine Person im Landratsamt gefährdet im Amt das Kindeswohl unmittelbar oder durch Veranlassung.

Deutschland, Sachsen, Sächsische Schweiz, Anfang April 2017

(Obwohl die Geschichte teilweise im Plauderton erzählt wird, sind sämtliche Aussagen wahr und belegbar. Der Verein hofft immer noch auf eine Verständigung in der Sache.)